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Die Deflektions-Anwaltschaft
Über eine fünfstündige Wirecard-Anklage
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Die Deflektions-Anwaltschaft

Das Wetter ist überwiegend grau wie der Anzug von Insolvenzverwalter Jaffe, als am 8. Dezember 2022 das Gerichtsverfahren gegen Dr. Markus Braun und zwei weitere Manager des insolventen deutschen Zahlungsanbieters Wirecard im brandneuen Gerichtssaal der Justizvollzugsanstalt Stadelheim eröffnet wurde.

Der frisch riechende Saal 1 ist gut gefüllt. Rechter Hand die Staatsanwaltschaft. Auf der anderen Seite ihnen teils gegenüber sitzt auf der Anklagebank der ehemalige Top Manager des ehemals grössten deutschen DAX-Unternehmens. Der an Apple-Gründer Steve Jobs angelehnte, schwarze Rollkragenpulli, den Dr. Braun hier vor Gericht trägt, ist eine klare Ansage wohl auch an Insolvenzverwalter Jaffe: seht, ich bin nach wie vor Visionär, der mehr über das Bescheid weiss was kommen wird als ihr alle, scheint er non-verbal sagen zu wollen.

Etwas nach der gerichtlichen Einlassung geht es ab, nicht wirklich in den insgesamt fünfstündigen Darlegungen der Staatsanwaltschaft, die dafür drei am Ende ziemlich heisere Staatsanwälte zurücklässt, sondern zunächst einmal durch die heulenden Sirenen der vielen Smartphones,

Dr. Markus Braun im Rollkragenpullover, 8. Dezember 2022
als das Amt für Katastrophen- und Bevölkerungsschutz deutschlandweit um 11 Uhr eine Testwarnung aussendet. Bezeichnend ist, dass der zuständige Richter die Gerichtsverhandlung 10 Minuten zuvor in vollem Wissen über das, was passieren wird, zeitgerecht unterbricht.

Gar nicht so unähnlich verhielten sich die Dinge in der Vergangenheit um den nach 16 Jahren Firmengeschichte nun insolventen Zahlungsanbieter aus Aschheim, sowie deren Verbindungen zur Staatsanwaltschaft München. Bereits im Jahre 2002 purzelte eine erste Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft München ein, der damals gerade geschasste Firmenleiter heulte sirenenhaft laut, dass Firmeninsider für den Diebstahl geistigen Eigentums verantwortlich sein könnten. Die Staatsanwaltschaft lehnte es ab, Wirecards Markus Braun und den damals jungen Jan Marsalek genauer unter die Lupe zu nehmen.

Ähnlich verhielt es sich um das Jahr 2008, als die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) sich zuerst auf der Gesellschafterversammlung über Wirecards Bilanzfälschungen beschwerte, dann später sogar Strafanzeige gegen Wirecard stellen musste. Doch anstatt Wirecards offenliegenden Betrug vorzeitig ins Zielvisir zu nehmen, klagte man bei der Staatsanwaltschaft München ernsthaft ein Mitglied der SdK für dessen wahrheitsgetreuen Darlegungen über Betrug bei Wirecard an und verriegelte ihn Jahre später unter Sirenengeheul für Monate in derselben Justizvollzugsanstalt, in welcher bezeichnender Weise nun das Verfahren gegen Dr. Markus Braun und Co. stattfindet.

Eine Polizeihauptmeisterin Münchens ermittelte gegen Wirecard wegen Geldwäsche in 2015, auch hier war es ein Vertreter der Staatsanwaltschaft, der die Ermittlungen vorzeitig beenden ließ. Einige Jahre zuvor legte man bei Mastercard und Visa Wirecard eine Strafzahlungen von mehreren Millionen Euro auf.

Die Verwicklungen von Wirecard UK in die Geldwäschegeschäfte des in Florida, USA verurteilten Michael Schütt wurden durch die Staatsanwaltschaft München auch nicht sonderlich verfolgt. Der Wirecard-Untersuchungsausschuss in Berlin fand zudem ja heraus, dass man den ehemaligen Landespolizeipräsidenten Bayerns bei Wirecard als Berater einstellte, der dann jahrelang Polizeistationen sowie ausländische Konsulate und Botschaften gewinnbringend für Marsalek und Co. abklapperte. Was wohl einer der Gründe gewesen sein mag, warum man bei der Staatsanwaltschaft München gegen Börsenbriefherausgeber

Medienvertreter vor Gerichtssaal
aus England ermittelte und selbst 2019 noch ein Ermittlungsverfahren gegen investigative Journalisten der Financial Times wegen deren wahrheitsgetreuen Berichterstattungen über Wirecard einleitete.

All dies scheint wie weggeblasen hier am 8. Dezember 2022 im Gerichtssaal Stadelheims. Die Staatsanwälte aus München lesen, und lesen, und lesen ihre Anklageschrift vor. Insgesamt so um die fünf Stunden lang. Alle Anklagepunkte beziehen sich fast ausschliesslich auf bilanz- und finanzbetrügerische Sachverhalte, die akribisch für jedes Geschäftsjahr aufgeführt und laut vorgelesen werden müssen.

Die bereits terminierten, folgenden Gerichtsverhandlungen reichen laut ausgehängter Liste mindestens bis Ende 2023. Was bestimmt dazu beitragen wird, dass man in Berlin gar nicht erst auf die Idee kommen wird, einen durchaus nicht unnötigen, zweiten Wirecard-Untersuchungsausschuss einzusetzen. Eigentlich ein Riesenskandal alles, auch und besonders für die Staatsanwaltschaft München angesichts der jahrelangen, hoffentlich nicht bewusst exerzierten Strafvereitelungen sowie der hochrangigen bayerisch-exekutiven Unterstützung für Wirecard, die übrigens bis zum Tegernsee reichte.

Schon am zweiten Verhandlungstag stellt Brauns Verteidiger einen Aussetzungsantrag des Verfahrens. Er beklagt sich überzeugend, dass weder die Staatsanwaltschaft München, noch das für die Haftkontrolle von Dr. Markus Braun zuständige Oberlandesgericht, noch der Untersuchungsausschuss in Berlin sich wirklich im Detail mit den einzelnen Bankkonten der Drittpartner beschäftigt habe. Hätte man dies, so würde herausgefunden werden, dass Zahlungseingänge in Milliardenhöhe auf diesen operativen Konten verbucht wurden, somit Dr. Brauns Aufsichtspflicht nicht verletzt worden sein kann, auch da der Grundsachverhalt gar nicht untersucht wurde. Wirecards Manager Oliver Bellenhaus sei für die Veruntreuung verantwortlich. Bellenhaus, der von der Staatsanwaltschaft München jahrelang als sog. "Kronzeuge" betitelt wurde, habe als Chefbuchhalter über eine Schattenstruktur, u.A. auf den Antigua Inseln angelegt, die fehlenden Milliarden nachweislich umgelenkt, dies mit Hilfe von Marsalek und von Erffa.



Zudem habe das für die Haftkontrolle zuständige Oberlandesgericht bewusst falsche Narrativen der Staatsanwaltschaft München zumeist von Mitte 2020 übernommen. Rechtshilfen wurden verzögert, wichtige Beweisanträge und Informationsersuchen durch die Staatsanwaltschaft sabotiert und teils bewusst vorenthalten, so Brauns Verteidiger in dessen Eröffnungsrede - darunter sämtliche Kontenbewegungen der einzelnen Drittpartner, sowie über 180.000 Asien-Vertriebsemails. Aus diesen Gründen sei ein Antrag auf Aussetzung des gesamten Verfahrens geboten.

Nach seiner Rede heulten innerlich wohl die Alarmsirenen bei den Staatsanwälten. Man verkündet einen Tag später, dass der zuständige Richter erkrankt sei und die Verhandlung auf die folgende Woche ab dem 19. Dezember 2022 verschoben ist. An diesem Datum schiesst Bellenhaus' Verteidiger dann zunächst auf Dr. Brauns Persönlichkeitsstruktur ein, sowie auf Jan Marsalek und den dritten Angeklagten Manager. Brauns Verteidigungsstrategie sei basiert auf "Verschwörungstheorie", so Bellenhaus, ihm tue der entstandene Schaden aber leid. Marsalek, Ley und von Erffa hätten ihm Vorgaben bei den chefbuchhalterischen Abrechungen gegeben. Bellenhaus habe zusammen mit von Erffa Protokolle gefälscht und Belege frisiert, um das laut ihm und der Staatsanwaltschaft München angeblich nicht vorhandene TPA-Geschäft vorzugaukeln.

Dr. Markus Braun macht seine erste längere Aussage seit Jahren erst am 16. Februar 2023. Er habe von frisierten Konten und wirklichen Problemen im Drittpartnergeschäft eigentlich auch erst aus der Presse erfahren. Die KPMG-Sonderprüfung wurde von ihm angestemmt und die Ergebnisse dieser von ihm halbwegs im Sinne der Wirecard AG, die er zu führen hatte, ausgelegt, so Braun.

Bis heute gibt es übrigens keine offizielle, ernste Anklage gegen den weiterhin unauffindbaren Jan Marsalek.


In Bayern ist man bekannt dafür, Nicht-Bayern und anderweitige Preussen für die jahrelangen eigenen Vergehen des Justizwesens verantwortlich zu machen, um diese projezieren zu können.







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